"Ein paar Einheimische steigen einmal im Jahr hinauf auf die Stocklochwand, entfachen ein Feuer und werfen in der Nacht glühende Magnesiaspäne über die Wand. Ein archaisches Ritual, eine Beschwörung des Lichts. Beim Anblick des brennenden Berges zieht uns ein Schauer über den Rücken" beschreibt Schriftsteller Emil Zopfi das Erst- August Feuer am Mürtschen. Jedes Jahr anders, je nach Wetter und Himmelsbeleuchtung, hat dieses Feuer eine grosse Faszination.
Die Mürtschenfeuerwerker v.l.n.r. hinten: Reini Menzi, Res Menzi, Köbi Schrepfer, Ruedi Peer
vorne v.l.n.r. Beat Menzi, Hansjürg Alder, Balz Durscher, Daniel Menzi, René Seliner,
gekleidet in passende T-Shirts von Caroline Käppler
Ein Artikel aus dem Jahr 1992 im Glarissimo, Informationsbroschüre von Glarnerland Tourismus.
30 Jahre sind es her, seit Jakob Egger-Kamm aus Filzbach und Hansjürg Alder-Menzi aus Obstalden das erste August-Feuer am Mürtschenstock entzündeten. Ganz sicher war Jakob Egger nicht, ob es 1961 oder 62 war. (2019 sind es bald 60 Jahre). Das Bösband, ein schmales Felsband unter dem Gipfel des vordersten Mürtschen, „Stock“ genannt, war der erste Feuerplatz. Nicht ideal, befanden die beiden Pioniere und verlegten ihr Tätigkeitsfeld nach zwei Jahren auf die Stogglochwand. „Das ausgedehnte Schuttfeld oberhalb des Mürtschenfensters“ wird der bis heute gewählte Feuerplatz im Clubführer des SAC beschrieben. Hier war weit mehr Bewegungsfreiheit als auf dem schmlaen „Bösband“, der Aufstieg kürzer und dementsprechend auch der Abstieg bei Nacht weniger gefährlich.
„Die Mürtschenstöcke sind ausgesprochene Kletterberge mit Schwierigkeiten verschiedenen Grades. Leider ist das Gestein nicht sehr solid, so dass fast auf allen Routen Steinschlaggefahr besteht“, ist im erwähnten Clubführer weiter zu lesen. Die Stogglochwand liegt unter dem nördlichen Gipfel, Stock oder Böser Mürtschen genannt, und ist vom Obertros über Hochmatt und die „Wasen“ erreichbar. Sie kann aber auch am Stoggloch vorbei, einer im Clubführer aufgeführten Aufstiegsvariante, erstiegen werden.
Eine Steinplatte wurde ausgehöhlt, sie diente manches Mal als Wetterschutz. Jahre später wurde ein Wetterhüttli errichtet, gross genug um darin zu übernachten. Weitere junge Männer aus den drei Kerenzer Gemeinden kamen dazu, die jedes Jahr halfen, Brennmaterial auf die Wand hinaufzubuckeln. Nachwuchssorgen kennt die Gruppe keine, denn es ist eigentlich eine Ehre, zu den Mürtschenfeuerwerkern zu gehören. Hie und da werden sie von ihren Frauen begleitet und manchmal steigen auch Gäste mit hinauf.
Heute liegt der Vorrat für drei Feuer auf der Stogglochwand. Der Helikopter hat die Last des Hinaufbuckelns abgenommen. Wasser wird im Frühling gesammelt, indem Schnee in Fässer gestopft wird. Rund hundert Kilo Material (Magnesiumspäne, deshalb ist das Feuer so gleissend weiss) werden jeweils am 1. August verfeuert und, wenn es lichterloh brennt, mit überlangen Schaufeln die Wand hinunter befördert. Wie ein riesiger Glühwurm erleuchtet es das ganze westliche Mürtschenstockmassiv und zündet weit ins Land hinaus.
Die Feuerwerker schützen sich mit Sonnenbrillen und Handschuhen gegen die grosse Hitze. Schon einige Verbrennungen waren die Folge von Unvorsichtigkeit. Zudem ist es nicht ganz ungefährlich, aussen auf der Wand zu stehen und die glühenden Späne hinunter zu werden.
Sie können viel erzählen, die schon seit Jahren dabei sind. Manches Abenteuer haben sie bestanden, manch schwierigen Abstieg gewagt, manch eindrückliches Gewitter erlebt auf der Wand. 1981 zum Beispiel, als gegen 20 Uhr ein schweres Hagelwetter das Glarner Hinterland heimsuchte. Tiefschwarze Wolken, dahinter eine weisse Wand, durchzuckt von Blitzen. Die Haare seien ihnen ob der elektrisch geladenen Luft zu Berge gestanden. Oder 1985, als es den ganzen Abend wie aus Kübeln goss und sie unverrichteter Dinge heimkehren mussten. 1988 dagegen war der schönste 1. August seit langem, ein traumhafter, klarer Sommerabend. Ein Jahr später hatte ein Kälteeinbruch frischen Schnee gebracht. Gegen Abend lichtete sich der Nebel. Der Gipfel behielt zwar seinen Hut, doch Schnee und Feuer vereinigten sich zu einem einzigartigen, unvergesslichen Schauspiel.
1. August 2004
Mürtschenfeuer mit neuer Dimension
Oder zurück zu den Wurzeln. Aber alles der Reihe nach. An diesem prachtvollen Nationalfeiertag leuchtete wie jedes Jahr (und bei fast jedem Wetter) beim Eindunkeln der erste Lichtschein auf der Stogglochwand auf. Gleichzeitig zündete auch weit höher ein Funken Licht in die Nacht. „Ist das auf dem Gipfel? Nein, das kann ja nicht sein!“ Ein Blick durch das Fernglas zeigte den Ort auf dem Bösband oder ganz genau auf der bösen Nase. Schon der Name sagt es. Ein ausgesetzter Ort, im SAC Club-Führer von 1920 so beschrieben:“ das böse Band bildet an der Nordwest-Ecke des Stockes die böse Nase, einen Felsbalkon, und biegt dann horizontal auf die Nordseite um.“ Ob sich Reinhard Menzi und sein Sohn Daniel in dieser luftigen Höhe wie auf einem Balkon fühlten? Jedenfalls wetteiferten sie feuermässig mit der einen Stock tiefer gelegenen Gruppe derart, dass sich ein wundervolles Schauspiel bot. Zweifach gleissender Feuerschein, zweifacher Funkenfall über aufleuchtende Felswände, vielfaches Staunen und Bewundern überall da, wo das Feuer zu beobachten war. Den beiden auf dem Felsbalkon gingen die glühenden Späne irgendwann aus, die andern unten auf der Wand schaufelten noch einige Glutströme hinaus in die Nacht.
Es blieb eine einmalige Aktion, dieses doppelte Feuer. Ein zu grosses Wagnis in der Dunkelheit.
Jedes Jahr am 01. August zündet das Mürtschenfeuer ins Land hinaus. Ausser 2018, im Hitzesommer. Ein stiller Bundesfeiertag mit einer dunklen Stogglochwand.